URBAN HACKING als praktische und als theoretische Kritik der öffentlichen Räume.

Öffentlicher Raum als Text

Das, was als ein Bündel miteinander verwobener kulturgeografischer und diskursiver Strukturen „öffentlicher Raum“ heißt, ist ein gesellschaftliches Artefakt; und darauf hinzuweisen ist nur solange trivial, solange man/frau sich nicht von jener Tendenz kassieren lässt, die gesellschaftliche Umgebungsnatur des Spätkapitalismus als naturwüchsig zu verstehen. Diese Tendenz greift immer weiter um sich – aktuell gelegentlich unterbrochen durch das homöopathische Nachdenken über eine Finanzkrise, die aber bald wieder verschwunden sein wird in der Unüberschaubarkeit alltäglicher Individualkatastrophen individuierter Subjekte.

Es mag dem eigenen wie dem allgemeinen, dem globalen und dem individuellen Leiden am und im Kapitalismus Linderung verschaffen, ihn sich als einen solchen Naturzusammenhang vorzustellen. Als Schicksalsmacht, die menschliches Leben und die Produkte seiner Anstrengungen willkürlich, unvorhersehbar und scheinbar interesselos auslöscht. Dies versöhnt mit dem spätkapitalistischen Schicksal der Ausweg- und Alternativlosigkeit und entbindet von Schuldgefühlen angesichts der eigenen Verstrickung in seine sozialen, kulturellen und ökologischen Katastrophen, die eben genau das sein sollen: Katastrophen und nicht etwa die Konsequenzen unseres Handelns.

Diejenige Naturform, in der uns der Kapitalismus jeweils entgegentritt, ist jedoch das Produkt sozialer, kultureller, ökonomischer und ideologischer Landschaftsarchitektur. Dies gilt vor allem für die Räume, die wir als öffentliche in unserem täglichen kommunikativen und kulturellen Handeln durchqueren. Jene Räume, die wir aufsuchen und benutzen, und die uns aufnehmen und formen, indem sie uns zur Erscheinung bringen.

Um ihren formierenden Kräften nicht machtlos ausgeliefert zu sein, müssen wir verstehen, wie die Räume beschaffen sind, in denen wir kommunizieren, repräsentieren und partizipieren. Wir müssen wissen, wie sie warum funktionieren, und wer daran ein Interesse hat.

Dass ein solches Verständnis keineswegs selbstverständlich ist, zeigen die bekannten und ermüdend hilflosen Klagen über den Verlust der guten alten Öffentlichkeit, die sich für gewöhnlich im Tonfall naturschützerischer Eingaben präsentieren. Und die dabei übersehen müssen, dass auch die scheinbar idyllische alte Öffentlichkeitsform das Ergebnis eben jener kapitalistischen Entwicklungsdynamik war, die sie nun wieder verworfen hat.

Die klassischen Theorien der öffentlichen Räume und der Öffentlichkeit haben ein solches Verständnis nicht geleistet, da sie es nicht vermochten, ihren eigenen ideologischen Standort in dieser Raumordnung einzubekennen.

Die komplexen Funktionsbeziehungen des Öffentlichen lassen sich eben nicht einfach nur auf die selbstreferenzielle Produktivität der Medien zurückführen, wie dies Marshall McLuhan versucht hat. Ebenso wenig wie sie sich aus deren systemhafter Eigenweltlichkeit erklären lassen, wie es Niklas Luhmanns Systemtheorie unternimmt. Und natürlich auch nicht aus der interaktionellen Dimension gesellschaftlicher Kommunikation, wie bei Jürgen Habermas, der die politische und ökonomische Ungleichverteilung von Macht nur als Verzerrung idealer gesellschaftlicher Kommunikation verstehen will. Kommunikative Ungleichheit taucht bei ihm allenfalls als ein Problem auf, das sozialtechnisch behoben werden kann, und eben nicht als Ermöglichungsbedingung des Verwertungsprinzips und der von ihm hervorgebrachten sozialen Räume und Orte.

Habermas' streng idealistische Argumentation, der zufolge gesellschaftliches Sein eine Folge seines Bewusstseins sein soll, verrät hier den ökonomischen Zusammenhang an liberale Selbstvergewisserungspraxis. Von den ökonomischen Zwängen, die die gesellschaftlichen Subjekte in ihren Bann geschlagen haben, darf eine solche Theorie nichts wissen wollen, worüber auch hemdsärmliger Meliorismus nicht hinwegtrösten könnte.

Eine emanzipatorische Theorie der gesellschaftlichen Kommunikation müsste dagegen benennen können, wie sich das Prinzip der Medialität in die Form und die Artikulationsweisen der von ihr organisierten Subjekte einschreibt und ebenso, wie diese Medialität Funktion und zugleich Darreichungsform der gesellschaftlichen Machtbeziehungen ist, die sie hervorbringen und ausrichten.

Wir möchten daher vorschlagen, öffentlichen Raum als einen Text zu betrachten. Als solcher hat er eine Autorin: eben jene gesellschaftlichen Verhältnisse, die ihn konstituieren, koordinieren und kontrollieren: technologisch, ökonomisch oder juristisch.

Als Text ist öffentlicher Raum eine Sprechweise der Macht, ein Ensemble hegemonialer Zeichen, in denen sich Herrschaft und ihre Präsenz dekretiert, ein Konglomerat von Gebrauchsweisen und Handlungsanweisungen, die die jeweils erwünschte Form sozialer Praxis organisieren.

Anders gesagt: Öffentlicher Raum ist ein durchherrschtes, ökonomisch und politisch vor(infra)strukturiertes und damit unserer Kommunikation immer schon vorgelagertes Gebilde, dem die Subjekte im Sinne einer Herrschaftsbeziehung ausgesetzt sind.

Sie gleiten als Zeichen durch diesen Text hindurch, lassen sich von ihm zurichten, erhalten ihren Sinn und ihre Form durch ihn, überantworten ihr Sprechen, und das, was sich in ihm aussprechen will, seinen Konstitutionsgesetzen und Vermittlungsformen.

Um eine allgemeine, „kommunikable“ Form zu erlangen, muss sich unser kommunikatives Begehren den Darreichungsformen des Öffentlichen anschmiegen. Unsere Wünsche, unser Selbstverständnis oder unsere Kritik müssen durch öffentliche Räume hindurch. Sie werden jedoch nicht einfach nur hindurch geleitet, wie es das klassische Kommunikationsmodell vorsieht, das dem Bereich der Medialität nur die Form einer prinzipiell unproblematischen Pipeline verleiht. Denn erst durch die konkrete Form konkreter Medien entsteht konkreter Inhalt, wie McLuhan gemeint hat. Da aber auch diese Medien nicht im luftleeren Raum existieren, sondern das Ergebnis gesellschaftlicher Produktivität darstellen, sind sie selbst bereits in einem ideologischen Sinne vergesellschaftet. Und das heißt: Die Medien, die unsere Botschaften (und damit uns als SenderInnen) erschaffen, sind selbst nur das Produkt der ökonomischen und politischen Verhältnisse, die sich auf diesem Wege den BenutzerInnen von Medien vermitteln. Denn was wir sind ist eine Funktion der Texte und Textformen, durch die wir erscheinen, schon weil die Formen, die wir unserem Sprechen über uns verleihen, zurückschlagen auf die Weise, wie wir das, wovon wir sprechen, wahrnehmen und konstruieren.

Jeder öffentliche Raum ist also ein Metatext, der unsere Äußerungsformen und unser kommunikatives Handeln strukturiert. In ihm ist geregelt, in welcher spezifischen Weise sich kommunikatives Begehren den medialen Umwelten anzugleichen hat. Und im medialen Kommunikationswettbewerb wird dasjenige kommunikative Begehren am erfolgreichsten sein, dem es gelingt, sich den Funktionsprinzipien und Äußerungsbedingungen eines gewählten Mediums (und der in ihm enthaltenen gesellschaftlichen Form) am besten anzupassen. In der Praxis führt dies dazu, dass die Optimierung der eigenen medialen Anpassungsform in den Vordergrund des kommunikativen Begehrens tritt, wie es der medialdarwinistische Typus (vgl. umfassend Harald Schmidt) eindrucksvoll belegt.

Von daher dominiert ein bestimmter Typus von medialen KarrieristInnen die spätbürgerliche Öffentlichkeit. Er verhält sich zu den Inhalten, die durch ihn transportiert werden, weitgehend indifferent und vermag es, jeden beliebigen ideologischen Inhalt, der auf die Tagesordnung gelangt, zu repräsentieren.

Aber auch da, wo wir als so genannte „kritische Gegenöffentlichkeit“ versuchen, unser Unbehagen an und in den bestehenden öffentlichen Strukturen zu artikulieren, als verbale Kritik oder als praktische Intervention, als demokratische Teilhabe oder als Widerstand gegen die formale und inhaltliche Fremdbestimmtheit und Zurichtung („Kommerzialisierung“ etc.) unserer Artikulationsräume, bestätigen und legitimieren wir sie doch immer wieder. Wir tun dies, indem wir sie benutzen und in unserer Kritik an ihrer Form ihre Wichtigkeit herausstellen. Und wir müssen dies auch notgedrungen, wo wir gehört werden wollen. Wo wir das tun, verstricken wir uns aber immer nur tiefer in sie.

Das ist der Teufelskreis des Öffentlichen, dem wir nicht entkommen können: Artikulation macht es erforderlich, sich einer vorstrukturierten „Grammatik“ und „Ästhetik“ zu bedienen.

Jedoch sind diese „Grammatik“ und „Ästhetik“, und also der in ihnen konstituierte Text, keineswegs unveränderlich. Denn obwohl die öffentlichen Beziehungsformen Artefakte sind, sind sie doch niemals fertig (ebenso wenig wie die gesellschaftlichen Verhältnisse, die sie hervorbringen). Als Texte schreiben sie sich immer wieder neu und dadurch weiter. Auch sie selbst müssen sich den Veränderungen und Erweiterungen der gesellschaftlichen Struktur angleichen. So bedarf eine globale „Finanzkrise“ und die von ihr neu strukturierten Sozialbeziehungen anderer Sprechweisen und kommunikativer Interaktionen als eine Phase der ökonomischen Prosperität.

Der Erfolg der bürgerlichen Gesellschaft – die Unsichtbarkeit und Ungreifbarkeit ihrer Herrschaft – besteht gerade in ihrer integrativen Dynamik und ihrer flexiblen Reaktionsfähigkeit, die sich gegenüber totalitärer Statik historisch durchgesetzt hat (woran auch die theokratischen Backlashes des beginnenden 21. Jahrhunderts nichts ändern).

Sie ist dabei auf unsere Bereitschaft angewiesen, sie mitzugestalten und zu verbessern, upzudaten und zu optimieren. Wir nehmen also nicht nur ihre Handlungsanweisungen entgegen und machen sie zur „Natur“ unseres kommunikativen Begehrens. Sondern wir erneuern oder verbessern sie, indem wir ihre öffentlichen Räume unseren (Ausdrucks-)Bedürfnissen anpassen.

Dazu bedürfen wir der Kompetenz. Medienkompetenz lautet nicht von ungefähr jene Forderung, mit der die bürgerlichen Medien immer wieder an uns herantreten. Denn sie wissen: Das Funktionieren von Texten ist auf die kognitiven Fähigkeiten derjenigen angewiesen, die sie lesen. Sie müssen in der Lage sein, ihre Anordnungen zu verstehen. „Verstehen“ freilich nicht im Sinne der Entbergung einer darin verborgenen Aussageintention, sondern im Sinne einer semiotischen Kompetenz. Nur so können sich die LeserInnen an der Konstitution, Distribution und Weiterexistenz von Texten beteiligen.

Was sich uns als öffentliche Räume darstellt, sind also gemeinsam verfasste, sich beständig verändernde und dennoch von bestimmten privilegierten Positionen aus kontrollierte und korrigierte Texte. Wenn wir sie als Texte verstehen, an denen wir – ob wir es wollen oder nicht – mitschreiben, dann verleihen wir uns das Potential, sie zu gestalten, indem wir sie anders fortschreiben. Da dies jedoch vorgesehen ist, und die öffentlichen Räume unseren Wunsch nach Veränderung kanalisieren sollen, stellt sich die Frage nach einem anderen, einem unvorhergesehenen Zugriff auf sie. Es ist die Frage nach dem subversiven Potential medialer Praxis. Paraflows 09 möchte diese Frage erneut stellen.

Denn öffentliche Räume sind ein Politikum. Sie stellen jene unhintergehbare Vermittlungsform, über die wir Beziehungen zu Texten, Institutionen und Personen knüpfen. Und als solche müssen sie nicht lediglich theoretisch besprochen, sondern auch praktisch angeeignet werden.

Dies erscheint uns wichtig, zumal unsere These vom öffentlichen Raum als Text an jenen akademisch gezähmten „kulturwissenschaftlichen“ Jargon anklingen mag, der sich als kritikbefreiter, aber restglamouröser Salonpoststrukturalismus dem Verwertungsprinzip hinspreizt. Bei allem noch in Fußnotenform noch immer mitgeschlepptem Wissen um die Funktion von Geschlechter-, Rassen- und Klassenbeziehungen hat die depolitisierte kulturwissenschaftliche Jargonaille längst jene postideologische Unverbindlichkeitsuniform akademischer Kritik angelegt, gegen die sie einmal in Anschlag gebracht wurde. Und nimmt dafür – als Abwrackprämie für aufgegebene Fundamentalkritik – stolz und ergeben jene Professuren und befristete Lehrverträge entgegen, die sich der Verwertungszusammenhang noch leisten will.

Für uns hingegen impliziert die Auffassung vom öffentlichen Raum als Text eine Aufforderung: nämlich diesen Text umzuschreiben, was freilich nur gelingen kann, wenn wir uns darüber bewusst werden, dass die Möglichkeit der Veränderung selbst immer gefährdet ist, von der Monotonie jenes Monologs geschluckt zu werden, der die bürgerliche Dialogform in ihrer Praxis ist und auch sein muss, um ihre eigenen Ermöglichungsbedingungen nicht zu gefährden.


Urban Hacking als kritische Poesie des öffentlichen Raumes

Das Anliegen von Paraflows besteht darin, Positionen und Interventionsmöglichkeiten der digitalen Kultur zu präsentieren und zu kontextualisieren. Die Kontextualisierung soll durch die Themenwahl erfolgen.

Aus der Beliebigkeit und Pluralität digitaler Kulturpositionen möchten wir solche auswählen, die das Wissen um die Funktionsweisen der öffentlichen Räume, insbesondere des Internets, zum Ausgangspunkt ihrer Kritik und Intervention gemacht haben. Die – wie wir – davon ausgehen, dass sie Repräsentationsformen von Macht sind und doch zugleich jene Orte, die digitale Kultur betreten muss, um ihre Anliegen zu repräsentieren. Aus dieser paradoxen Ausgangslage ergeben sich zweierlei Anliegen:

Erstens müssen wir zu einer Kritik der öffentlichen Räume als vermachtete gelangen. Und zweitens müssen wir Formen finden, um unsere Kritik an dem, was wir als öffentlicher Raum vorfinden, zu artikulieren, ohne uns dabei den beschriebenen Normierungs- und Adaptionsprozessen zu unterwerfen.

In der Gegenwart des Jahres 2009 wird die Notwendigkeit einer solchen Auseinandersetzung und Positionierung schon dadurch ersichtlich, dass dem Öffentlichen, und besonders der digitalen Öffentlichkeit immer stärkere Reglementierungen auferlegt werden. Bezeichnenderweise setzen diese dort an, wo vermeintliche oder tatsächliche Freiräume mit ökonomischen Verwertungsinteressen kollidieren, vor allem im Bereich des Urheberrechts.

Die Gleichzeitigkeit repressiver Copyright-Auslegung mit der Ausweitung und Perfektionierung der (digitalen wie der nicht-digitalen) Überwachung von Kommunikationsräumen des Netzes und der „realen“ Lebenswelt macht eine zusammenhängende Theorie des Öffentlichen erforderlich.

Gegen diesen Zusammenhang von Überwachung und verwertungsförmiger Normierung möchten wir divergierende Interventionsmöglichkeiten aus ganz unterschiedlichen sozialen Praxisfeldern setzen. Und wir möchten zeigen, warum und wie sie zusammengehören. Diesen Zusammenhang soll der Begriff des „Urban Hacking“ repräsentieren. Er kann sich gleichermaßen auf die urbanen Räume beziehen, in denen wir leben, wie auf das, was in der Weltstadt des Internets geschieht. Beide sind heute zu einem zusammenhängenden neuen urbanen Raum verdichtet. In ihm verzahnen sich reale und virtuelle Räume zu einer Lebenswelt, in der das Digitale längst integraler Bestandteil der Stadt geworden ist und eigene Städte errichtet – und dies nicht nur in Form von Second-Life-Surrogaten.

Die Interventionen des „Urban Hacking“ versuchen auf je eigene Weise, auf eine dergestalt homogenisierte globale Urbanität zuzugreifen, die Städte und Personen miteinander verbindet und in neue kulturräumliche Nachbarschaftsbeziehungen bringt.

Ziel des „Urban Hacking“ ist jedoch nicht die Integration des Lokalen ins Globale. Das Lokale zu verteidigen, als etwas, das vom Globalen bedroht und verdrängt wird, verweist prinzipiell an regressive Denkmuster, wie wir später noch ausführen werden. Es geht vielmehr um die kapitalistische Verwertung der neu entstehenden Beziehungsformen. Dieser Verwertung, die nicht von außen an öffentliche Räume herantritt, sondern sie schon immer von innen heraus strukturiert, widersetzen sich die Hackingstrategien des Urbanen, indem sie die Legitimierungsweisen des Öffentlichen zurückweisen.

Formen wie „Cultural Jamming“, „Kommunikations- und Medienguerilla“, „Media Disturbance“ oder „Hacktivism“ teilen die Strategie der „Delegitimität“. Ihnen geht es nicht darum, eine zweite und andere, eine „Gegen“-Öffentlichkeit als Ergänzung oder als Korrektiv der falschen Form bestehender Öffentlichkeit zu etablieren. Gemeinsam ist ihnen das Wissen um die Integrierbarkeit des Gegenöffentlichen, das immer wieder als dringend benötigtes Update von der hegemonialen Kultur verschlungen werden wird. Dieses Problem, so haben sie verstanden, hat mit der strukturellen Ähnlichkeit von Gegenöffentlichkeit und hegemonialer Öffentlichkeit zu tun. Und mit dem Anspruch auf politische Veränderung, in dem bereits die tragische Kompromissform des Reformismus angelegt ist als jenes Programm, welches gegenöffentliche Räume in normierte umzuwandeln vermag.

Digitale Kultur sollte von daher nicht den Fehler der historischen Gegenkulturen wiederholen, ihre Möglichkeiten zu überschätzen und so jenes Frustrationspotential in ihrem Begehren zu installieren, aus dem die Bereitschaft erwächst, das Unmögliche zu verwerfen, um wenigstens das Mögliche zu erreichen.

Ihr Wirkradius bleibt – trotz einiger spektakulärer und medial gut vermarktbarer Aktionen – begrenzt. Und ihre Interventionen haben in der Regel keine tief greifenden politischen und ökonomischen Veränderungen zur Folge. Ihr größter Erfolg besteht noch immer darin, in einer symbolischen Weise die medialen Oberflächen des Öffentlichen zu beschädigen, und damit deren glattes und unsichtbares Funktionieren aufzubrechen.

Als symbolische Handlung und als explizite Symbolpolitik hat Urban Hacking eine im Prinzip ästhetische Funktion, die auf den Konstruktionscharakter dessen, was ist, verweist, indem sein Vollzug gestört wird. Urban Hacking kann Veränderungen repräsentieren (durchaus in der traditionellen Weise von Kunstwerken), die erst eine breite gesellschaftliche Bewegung ins Werk setzen kann. Die aber bedarf der Repräsentationen jenes Anderen, um sich zu erzünden. Dies ist die spezifische Interventionsmöglichkeit von Kunst.

Das legt nahe, auch politisch motivierte digitale Aktionsformen im Rahmen eines Festivals für digitale Kunst und Kultur vorzustellen, gemeinsam mit solchen, die sich eher dem Kunstfeld zuordnen, eben weil beide im Bereich des Symbolischen agieren. Dass und wie dieses Symbolische bisweilen auf „das Reale“ durchschlagen kann, zeigen einige Aktionen der Yes Men.

Die Überwindung der traditionellen Kluft zwischen Kunst und Politik war immer Anzeichen für das Entstehen breiter interventionistischer Bewegungen. Diese vermochten es, kulturelle ProduzentInnen aus den Bereichen Kunst, Musik, Literatur, aber ebenso MedienarbeiterInnen mit denen zusammenzubringen, die konkrete politische Forderungen stellten. Gemeinsam setzten sie eine – vorübergehende – gegenkulturelle Praxis ins Werk. Und deren Gemeinsames bestand in der Regel gerade nicht in einer von allen geteilten politischen Vision, sondern in der temporären Übereinkunft, dass das, was ist, eine Zumutung ist.

Schon seit einigen Jahren lässt sich nun die zaghafte und schwierige Wiederannäherung von politischem Aktivismus, subkultureller Praxis, Kunstszene und studentischem wie theoretischem Milieu beobachten. Begriffe wie „Intervention“, „Appropriation“ oder „Hacking“ erscheinen innerhalb dieser Szenen, durchaus unabhängig voneinander, und verweisen auf eine gemeinsame Praxis.

Gemeinsam ist ihnen jenes neue Verständnis des Öffentlichen, das die genannten Strategien implizieren. Sie verstehen es – oft in ganz praktischer Weise – als Text im oben beschriebenen Sinn. Und ihre Zugriffe auf diesen Text lesen sich nicht selten als poetische Experimente mit seinem Material, indem sie auf der Konstitutionsebene und gleichsam semiologisch in ihn eingreifen. Sie eignen sich seine Zeichen an und beginnen mit ihnen zu spielen. Dadurch verdeutlichen sie den Zeichencharakter jener Realitätselemente, die uns sonst nur als Schicksal und Verhängnis begegnen. Ja, sie verfahren mit ihnen in der gleichen Weise wie es Poesie mit ihrem Sprachmaterial tut. Oder genauer: wie jene moderne Poesie, die den Materialcharakter des Sprachzeichens zum Anlass hat.

So gelingt es ihnen bisweilen, die in der Omnipräsenz unsichtbar gewordenen machtvollen Zeichen und Symbole zum Vorschein zu bringen, die die gesellschaftlichen Räume durchherrschen. Indem diese beschädigt, hervorgehoben und rearrangiert werden, können sie aus dem Gesellschaftsnatur gewordenen Zusammenhang gelöst werden. Und sie können anders und neu reden, zum Beispiel darüber, wie sich der öffentliche Raum konstituiert, welche Class-, Race- oder Genderpositionen sich dort sedimentieren und manifestieren. Wem er gehört, und wem er vorenthalten wird.

In dieser Weise betreibt die Poesie des Urbanen immer zugleich Poetologie, nämlich eine Hermeneutik und Kritik der Zeichensysteme. Und dies tut sie im Wissen um die molekulare Bedeutung (lokaler) Symbole und Zeichen für das Gesamt der Ordnung. Denn deren Strukturen können in ihrer Übermacht bekanntlich nicht mehr in Form einer (phantasmatischen) Revolution angegriffen werden. Sie können allenfalls in einer ästhetischen Praxis, einem Kleinkrieg der Repräsentationen, herausgefordert werden.

Schon die Sponti-Bewegung der 70er Jahre verwies im Begriff der „Stadtguerilla“ (als welche sie von sich selbst sprach) nicht nur auf ihre oft unreflektierte antiimperialistische Leidenschaft für dubiose Befreiungsbewegungen. Ihre Praxis bestand in der wiederum meist symbolisch politischen Adaption von Guerillakriegsführung, die nicht den großen Schlagabtausch sucht, sondern mikropolitischen Interventionismus betreibt. Und der äußert sich dann eher im lokalen Detail. Dadurch wird er unkalkulierbar und ist schwer zu treffen.

Von daher mag es kaum erstaunen, dass der Begriff von der „Guerilla“ in den Selbstbeschreibungen urbaner HackerInnen wiederkehrt; eben weil er der Übermacht ihres Gegners entspricht. Seiner Überrepräsentanz, die als Waffe gegen ihn gewendet werden soll.

Vielen HackerInnen des Urbanen gelingt es dabei durchaus, jene unkritische, regressive und identitäre Revolutionsromantik zurückzuweisen, die die historische Stadtguerilla als Preis für ihren Begriff zu zahlen bereit war. Dabei mag helfen, die eigene Praxis als Kunst zu verstehen. Denn so können sie sich von Formen des politischen Aktivismus abgrenzen, die sich als interventionistischer Erlebnistourismus mit bürgerlicher Öffentlichkeit anlegen, ohne dem ein theoretisches Verständnis der eigenen Funktion und Position darin zugrunde zu legen. Jedenfalls keines, das über das bekannte Unbehagen an der Moderne und ihren Erscheinungsweisen hinausgelangt.

Als „Poetisierung“ der öffentlichen Räume bedarf Interventionismus nämlich einer beigestellten Kritik, die analog zu Kunstkritik auch die Frage nach seinem symbolischen Gehalt zu stellen vermag. Dieser Kritik darf keineswegs alles gleich sein, was an beliebiger Stelle den Monolog des Öffentlichen durchbricht. Sie sollte vielmehr in der Lage sein und befähigen, die radikalisierten Oberflächen der Intervention auf ihre Medialität hin zu befragen. Auf das, was sie sagen und wie sie es sagen. Und was sie sagen, indem sie es sagen.

Hierzu gehört besonders jene Romantik der Straße als privilegierter Ort der sozialen Kämpfe. „Die Straße“ ist selbst ein öffentlicher Raum, und als solcher diskursiv erzeugt. Was wiederum bedeutet, dass sie nicht jenes authentische und realistische Prädikat sein kann, das Aktivismus sich zubringen möchte, indem er von ihr träumt und spricht.

Bekanntlich gerät Kunst in die Gefahr, einem mystisch-vitalistischen Unmittelbarkeitsrausch zu verfallen, also zu regredieren, wo sie ihren angestammten Ort verlässt. Beziehungsweise von sich behauptet, dies zu tun. Immer wieder möchte sie ja jenes Museum, dem sie auch noch als digitale verhaftet bleibt, und die museumsanalogen Formen des Netzes und der Subkultur eintauschen gegen jenes „wirkliche Leben“, das die Melancholie der Kunst in der Lebhaftigkeit der „Straße“ vermuten muss.

Der Anlass für den periodisch wiederkehrenden Wunsch nach solchem „Leben“ ist der strukturelle Mangel, der in der ideologischen Einbettung der Kunst begründet ist. Denn ihre sprichwörtliche Freiheit hat sie mit einer besonderen Form der Isolation bezahlt. Sie darf Freiheit darstellen und Unfreiheit kritisieren, wenn sie sich im Gegenzug mit dem symbolischen Raum begnügt, der ihr zur Verfügung gestellt wird. Dort kann sie ihre besondere Rolle als Hofnärrin der bürgerlichen Gesellschaft wahrnehmen. Insofern bedeutet ihre spezifische Freiheitsform ein System der institutionalisierten Abhängigkeit. Die Stillstellungsform, die die zur Verfügung gestellten Sonderräume über Kunst und KünstlerInnen stülpen, wird dann von Kunst an sich selbst als Vitalitätsdefizit erfahren. Und eben nicht als der integrale Bestandteil einer funktionalen Spaltung durchschaut: hier ökonomische Alltagsrealität und ihr Krieg aller gegen alle, da ästhetische Sonderrealität als sich im Reproduktionszusammenhang entfaltende Humanität.

Auch interventionistische Kunstpraxis trachtet danach, ihren Quarantänezustand zu überwinden. Wo sie dies vor der Folie eines theoretischen Begriffs des Öffentlichen tut, kann sie sich jedoch darüber klar werden, was genau sie als eine solche Einengung empfindet. So kann sie dem begrifflosen Vitalismus entschlagen und stattdessen verstehen, warum sie andere öffentliche Räume fordert, als die, die sie vorfindet: Nicht weil sie selbst „leben“ will und „ins Leben“ müsste, sondern weil dort ihre Interventionen andere Wirkung und andere Form haben (und das sind wiederum ästhetische Kategorien). Und das können sie vor allem da, wo sie nicht immer schon als Kunst identifiziert und durchgewunken werden.

Die Deterritorialisierung von Kunst in den öffentlichen Raum darf also nicht versuchen, die an sich bemerkte Leblosigkeit mit dem Vitalitätsüberschuss des Realen abzugelten. Sondern sie muss dorthin, um den Legitimationszusammenhang ihrer Kritik zu durchbrechen. Ihre Kritik muss direkte Konfrontation werden. Und das kann sie nur in illegitimer und mithin illegaler Form, weil Legitimität und Legalität die diskursive Raumordnung der bürgerlichen Gesellschaft immer schon verinnerlicht haben. Wie eine solche Verinnerlichung funktioniert, ließe sich am bekannten Argument erörtern: „Ich habe im eigenen Gebrauch von öffentlichen Räumen von Überwachung nichts zu befürchten, da ich dort nichts Verbotenes tue.“

Die Kritik des Urban Hacking erscheint somit nicht als besinnliches Gegenüber des Kritisierten, sondern in Formen der Überschreibung, der Demontage, der aggressiven Wiederaneignung oder der Sabotage zum Beispiel jener Werbefläche (Adbusting), die immer größere Areale des Öffentlichen in Beschlag nimmt. Dies in Form eines Artikels in einem – selbst wiederum von redaktionellen und außerredaktionellen Werbebotschaften durchsetzten – Kritikmedium zu artikulieren, mag zwar ein punktuelles Nichteinverstandensein festhalten, kolportiert aber zugleich die bekannte Ohnmacht jeder legitimierten, „eingebetteten“ Kritik.


Der Politikbegriff des „Urban Hacking“

Als Schlagwort subsummiert „Urban Hacking“, wie gesagt, eine Reihe interventionistischer Strategien und (Kunst-)Praxen, bündelt sie theoretisch und verbindet sie zu einem Werkzeugkasten für eine andere Praxis, für ein gemeinsames Aktionsfeld von politischem Aktivismus und ästhetisch-künstlerischer Intervention. Und zwar mit dem Ziel, öffentlichen Raum von innen zu besetzen, wie es die historischen Vorbilder des Situationismus, der Sponti-Bewegung, des Graffiti-Movements und der Stadtguerilla getan haben.

Dies ist auch als bewusste Absetzung von jenen diskursiven Feldern (Urbanismus/Stadtforschung, Medien, universitärer Diskurs) zu verstehen, die über den öffentlichen Raum sprechen, ohne dabei ihrem Selbstverständnis nach unmittelbar in diesen eingreifen zu wollen. Ihre Kritik legitimiert sich gerade darin, dass sie medial und institutionell eingebettet spricht und so den Räumen, über die sie spricht, äußerlich bleibt.

Natürlich ist auch diese exterritoriale Position eine Fiktion, denn auch sie spricht aus einer bestimmten Raumverteilung des Öffentlichen heraus. Und sie besitzt eine reale und realitätsmächtige Seite, weil sie den Fiktionalitätsraum der symbolischen Form wieder überschreitet, indem sie spricht und sich in ihren diskursiven Vollzügen in Herrschaftsbeziehungen und Machtpositionen übersetzt. Ja, ihr vorgeblich selbstgenügsames Sprechen bestätigt diese Konstellationen.

Nicht allein die Orte, an denen über öffentlichen Raum gesprochen wird, sondern ebenso das Sprechen selbst und die Sprache sind bereits immer schon ein solcher „öffentlicher Raum“.

Dergestalt stellt das journalistische, wissenschaftliche und ebenso das zivilgesellschaftliche Sprechen über öffentliche Räume dessen Ordnung eben gerade nicht in Frage. Und das tut es in dem Maße nicht, wie seine diesbezüglichen Infragestellungen des Status quo die diskursiven Spielregeln und Verhaltensnormen von Öffentlichkeit akzeptieren, reproduzieren und im eigenen Sprechen aktualisieren.

„Urban Hacking“ bezeichnet demgegenüber Strategien, die nicht über öffentlichen Raum, sondern durch ihn, in ihm und mit ihm reden wollen, indem sie ihn stören, unterbrechen und öffnen (bzw. seine Schließungsmechanismen außer Kraft setzen). Sie nehmen damit jene aktive Rolle im Hinblick auf die Gestaltung des Öffentlichen bewusst wahr, die sie als Mitteilungsformen immer schon (unbewusst) inne hatten.

Im bewussten Wechsel des Sprechorts und der SprecherInnenposition verweigern sich diese Strategien der Konsensform, in der sich die bürgerliche Öffentlichkeit selbst imaginiert: als ein im Prinzip gleichberechtigtes gesellschaftliches Gespräch aller mit allen. Habermas nennt dies in Strukturwandel der Öffentlichkeit den „herrschaftsfreien Diskurs“. In diesem wohlwollenden und noch im Dissens tendenziell einverständigen Selbstgespräch aller mit allen sind Interventionen prinzipiell Einwürfe, die die konsensuelle Scheinform negieren und zerstören. Und dadurch als Artikulationsraum und Gegenstand von Dissens markieren.

Öffentlicher Raum ist unter dieser Perspektive nicht die Übereinstimmungsform der Öffentlichkeit mit sich selbst, sondern das Kampffeld unbefriedeter und unbefriedigter Repräsentationen. Bekanntlich beinhaltet und verbalisiert jede Repräsentation die Überschreibung und Verdrängung einer anderen. Dem Idealismus des „Konsens“ wird dergestalt ein Realismus des „Dissens“ entgegengesetzt, dessen Aggression die Aggressivität sozialer, geschlechtlicher und ethnischer Positionierungen wiedergibt, d.h. im oben angeführten Sinne repräsentiert.

Weil Macht immer eine Abfolge von Repräsentationen und Nicht-Repräsentationen darstellt, und in ihrer alltäglichen Praxis auch beredt hierüber Auskunft gibt (zum Beispiel als Frauenverschleierungsgebot islamistischer Regimes), ist der öffentliche Raum aber dasjenige Feld, auf dem sich Macht dekretiert. Woraus folgt, dass sich eben dort auch Widerstand, Kritik oder zumindest ein subversives Lustprinzip formulieren können.

Die Versuche, öffentliche Räume zu überwachen und die Bewegungsdatenspuren der Subjekte in ihnen möglichst lückenlos zu dokumentieren, erzählen davon, dass das Öffentliche als ein Unsicherheitsfaktor von jener Macht identifiziert wird, die doch auf es angewiesen bleibt, um sich im Bewusstsein der Subjekte zu verankern. Sicherheitspersonal, Kameras oder Verbindungsdatenspeicherung verkörpern den Wunsch, das Bewegungsverhalten der Subjekte zu kontrollieren. Diese Kontrollmöglichkeit ist wiederum eine wesentliche Funktion der öffentlichen Räume und der in ihnen hergestellten Sichtbarkeit. So versetzte erst die spezifische Struktur des Internets (und seiner Suchmaschinen) die Unterhaltungsindustrie in die Lage, Copyrightvergehen in nie da gewesenem Umfang zu erfassen und zu verfolgen.

Die Öffentlichkeit von Räumen ist damit sogar ein wirkungsvolles Instrument, das Begehren der Subjekte, das sich „in den Weisen, wie sie öffentliche Räume benutzen, verschriftlicht“, auszulesen. Und um die gewünschten Informationen über die zu produzieren, die sich in ihm „aufhalten“, muss noch jeder öffentliche Raum irgendeine Form der „Freiheit“ verheißen, um überhaupt frequentiert zu werden.

Dadurch ist die Möglichkeit einer präventiven Einschränkung der Bewegungsfreiheit bereits in der Struktur des Öffentlichen angelegt, eben in der von Foucault im Zusammenhang mit Gefängnisarchitektur beschriebenen Installation von für die sich Bewegenden nicht einsehbaren Beobachtungsposten. Ja, moderne Öffentlichkeit bedeutet nichts anderes, als sichtbar zu werden für die Anderen.

Öffentlicher Raum ist in den Interventionen des Urban Hacking nicht länger ein gesellschaftliches Faktum, in dem sich demokratische (und gelegentlich eben auch: undemokratische) Willensbildung manifestiert. Und er soll auch nicht mehr nur auf dem Umweg der Beeinflussung eben jener Willensbildungsprozesse mit- bzw. umgestaltet werden. Verändert werden soll nicht der Konsens über die Verwendung und die Gestaltung öffentlicher Räume, um so diese Räume selbst zu verändern. Es geht vielmehr darum, Dissenszeichen als Form des (symbolischen) Widerstands auszubringen. Mitsprache- und Mitgestaltungsrechte werden dadurch nicht mehr am institutionalisierten Verhandlungstisch bürgerlicher Öffentlichkeit eingeklagt, sondern sie erscheinen unmittelbar am Körper des öffentlichen Raumes: eben als Störungen, als Disseminationen, als kreative Umgestaltungsmaßnahmen im Sinne der Selbstermächtigung und Wiederaneignung. Sie sind Formen von „direkter Aktion“, um einen Begriff anarchistischer Theoriebildung zu zitieren, die die falschen, verzerrten oder zerstörten Formen der Öffentlichkeit nicht einfach nur bejammern, sondern dekonstruieren.

In solchen direkten Aktionen geht es jedoch nicht allein darum, die Definitionsgewalt über lokale und globale Lebensumwelten zurück zu erobern. Sie zielen vor allem auch darauf ab, in diesen Lebensumwelten Signale auszubringen und symbolische Formen zu etablieren, die dem spätkapitalistischen Fatum der Unveränderlichkeit Beispiele praktischer Veränderung entgegenhalten. Diese Veränderungen sollen nicht die Konsistenz einer Revolution oder einer Reform annehmen. Sie erzählen als raum-zeitlich begrenzte Revolten vom Bedürfnis der Subjekte, die Übermacht der Verhältnisse zu exorzieren. Als spontane Widerspruchsformen wollen sie sich dabei nicht in den komplexen Abläufen konsensueller gesellschaftlicher Gestaltung aufreiben. Sie sind Akte spontaner kreativer Selbstverwirklichung, von lustbesetzter Dissidenz, die nicht ohne weiteres von den gesellschaftlichen Integrationsmechanismen frustriert werden können. Insofern ihre Kritik sich im Medium der Sabotage (und nicht im Medium konstruktiver, ernsthafter, wohldurchdachter Kritik) verwirklicht, sind sie selbst kein Dialogangebot, sondern haben – in aller Artikuliertheit – einen unartikulierten Rest: das Begehren in der Form des Aufbegehrens.

Die spezifische Widerstandsform des „Urban Hacking“ enthält also einen veränderten Politikbegriff. Er verweigert sich der systemstabilisierenden Funktion „offizieller“ und legitimierter Politik, die ihre Forderungen nur um den Preis der grundsätzlichen Anerkennung gesellschaftlicher Ordnungsverhältnisse (Eigentumsbegriff, kommunikative Sittlichkeit, reformistische Rollenmuster, politische Moral) stellen kann. „Urban Hacking“ dagegen versucht dem politischen Paradox von der Verstrickung durch Kritik zu entkommen.


Das schwierige Verhältnis von „Urban Hacking“ und Reklame

Wie gesagt, für den Bereich reflexiven Verstehens mag es eine Banalität darstellen, Lebenswelten als gemacht aufzufassen. Unsere größtenteils vorbewusst ablaufende und unbewusst strukturierte Alltagswahrnehmung und -orientierung neigt jedoch dazu, unsere Lebensumgebungen zu naturalisieren und so zu akzeptieren. Das machen jene Erfahrungen deutlich, bei denen die alltägliche „Umgebungsnatur“ plötzlich als Konstruktion erkennbar wird. Dies kann geschehen, indem wir sie plötzlich verändert, unterbrochen oder gestört vorfinden, sei es durch gezielte Interventionen (Graffiti, Vandalismus, Demontage von Strukturmerkmalen) oder in Folge „höherer Gewalt“. Erst sein Entzug und der Verlust machen das Gewohnte und Konventionelle fassbar.

Indem „Urban Hacking“-Strategien Brüche und Kerben in die glatte Symbolordnung treiben, weisen sie darauf hin, dass diese nicht einfach als unabänderliches kulturelles Schicksal hingenommen werden muss. Ein Eindruck, der sich angesichts der Allgegenwart kommerzieller und politischer Annexionssymbole und ökonomischer Inwertsetzungszeichen, die das bekannte Gesicht des Öffentlichen ausmachen, leicht einstellt.

Die Ohnmachtserfahrung im zur Werbefläche und Verwaltungstatsache degradierten Öffentlichen verrät sich in den Gesichtern derjenigen, die seine Räume mehr passieren, als sich in ihnen aufzuhalten. In der Regel wird sie mit Resignation oder Formen der inneren Emigration beantwortet, etwa wenn wir behaupten, wir wären in der Lage, Reklamebotschaften auszublenden, obwohl wir wissen, dass das eine (Not-)Lüge ist.

Als illegitime Widerstandsform legitimiert sich Urban Hacktivism aus der Enteignung, die er betreibt, ohne jedoch zu behaupten, es habe einen anderen, besseren, einen den kapitalistischen Verwertungszusammenhängen exterritorialisierten, öffentlichen Raum, die bürgerliche Kuschelöffentlichkeit, je gegeben. Dennoch sollte er graduelle Verschiebungen in der Verteilung des Öffentlichen genau benennen können. Werbung als aggressive Privatisiererin von Nischen und Freiräumen ist eine Gradmesserin dafür, wie das, was vorher nicht allen, aber immerhin einer relativ breiten Gruppe gehört hat, filettiert und vereinnahmt wird. Das Deprimierende und Demütigende der Reklame ist schon insofern ein Politikum, weil die geisttötende Monotonie der bürgerlichen Gesellschaft und Kultur in ihr ihre höchste Verdichtung erfahren. Und sie vergegenständlicht die Tatsache wohl am triftigsten, dass die Gestaltung öffentlicher Räume eben nicht das Ergebnis gemeinschaftlicher Aushandlungsprozesse darstellt. In ihrer Aufgetakeltheit wirft sie stets aufs Neue die Frage auf, wem öffentliche Räume letztlich gehören, urbane Strukturen ebenso wie zum Beispiel die Medien oder das Internet.

Am Beispiel der Werbung zeigt sich, dass der öffentliche Raum als unhintergehbare Artikulations- und Projektionsfläche immer schon besetzt vorgefunden wird. Diejenigen Orte, die sich in besonderem Maße für Kommunikation eignen, gehören längst den PR-Abteilungen.

In ihrer Vielzahl und Gestaltungsmächtigkeit verdrängen und marginalisieren Werbebotschaften andere Äußerungen. Oder zwingen diesen, wo sie gehört werden wollen, ihre Formen- und Symbolsprache auf. Der Kampf gegen die öffentliche und kommunikative Definitionsmacht der Werbung ist immer auch der Kampf gegen deren ästhetische und diskursive Zumutungen (Sexismus, Rassismus, Stereotypisierung bestimmter gesellschaftlicher Gruppen, werbungsspezifische Wertevermittlung, Klischeeifzierung annähernd aller Aspekte des Sozialen).

Digitale Kultur war seit jeher für die Probleme des Öffentlichen innerhalb einer kapitalistischen Gesellschaftsstruktur sensibilisiert, weil das Material ihrer künstlerischen Gestaltung die spezifischen Formen und Räume gesellschaftlicher Kommunikation sind; meist diejenigen, die in der immer noch nicht abgeschlossenen digitalen Epoche als zukunftsweisende und gegenwartsspezifische in besonderer Weise von ökonomischen Schließungsmechanismen bedroht waren. Von dem, was oft recht hilflos „Kommerzialisierung“ genannt wird, so als gäbe es davon im Kapitalismus ein Gegenteil. Der Kampf um die Definitionshoheit der öffentlichen Räume war damit stets ihr Anliegen.

Dies spiegelt sich in ihren Aktionsformen wieder, wie am Beispiel des Graffiti Research Lab, das mittlerweile eine Wiener Filiale besitzt, gezeigt werden kann: Seine AktivistInnen benutzen zum Beispiel Laser Tags und mobile Projektionseinheiten, um dissidente Mitteilungen aus großer Distanz auf geeignete urbane Oberflächen (z.B. Hochhäuser) zu applizieren. Sie beziehen sich dabei auf die traditionelle Graffiti-Bewegung, deren nächtliche Sprüh-Aktionen seit Ende der 1970er den öffentlichen Raum durch Parolen (die oft allerdings das Immergleiche der Werbung noch übertrafen), Bilder oder die Geheimsprache so genannter „Tags“ (als der endlose, monotone und unkontrollierbare Roman minoritärer Bewegungen durch den urbanen Raum) repolitiserten. Das klassische Repertoire und die Materialästhetik von Graffiti werden jedoch durch die Digitalisierung verändert. Die projizierten Botschaften bleiben temporär. Sie verweigern sich der statischen Werkform der Graffitis, die wieder Gegenstand kunstbetrieblicher Verwertung werden können. Auch die staatlichen Repressionsmaßnahmen gegen SprayerInnen greifen nicht mehr. Die eigens entwickelten LED-Throwies des Graffiti Research Lab gelten daher als einfaches, „einleuchtendes“ und erfolgreiches Interventionsinstrument.

In der Verwendung von „Open Source Tools“ vernetzt das Graffiti Research Lab die eigene Aktionsform wiederum mit den generellen Ansprüchen des Hacktivism. Das verweist auf das Selbstverständnis der Szene: Die angewandten Mittel und Ästhetiken sind Bestandteil einer breiten und solidarischen Bewegung, die den Stadtraum und den Netzraum als im Prinzip gleichartige Orte behandelt, auf die ein und derselbe Anspruch erhoben werden muss. Der „Open Source“-Gedanke repräsentiert dasselbe Anliegen für den Bereich der digitalen Bereitstellung und Verarbeitung von Information wie Graffiti für den Stadtraum: Digitale Technologien sind eben nicht frei zugänglich, müssen aber frei zugänglich gemacht werden. Ebenso wie sie in ihren intendierten Gebrauchsweisen ökonomischen Einschränkungen unterliegen, die sich als folgenreich für die digitale Kultur erweisen – und im Anschluss hieran: für die gesamte Kultur des digitalen Zeitalters.

Allerdings werden die Strategien der Kommunikationsguerilla längst wieder durch Werbung übernommen. Sie selbst stellten ja bereits eine Wendung der Reklameform dar, eine Mimikry von Marketing, ein Signifying jener Wunschmaschinen, die bei jedem Internetbesuch und bei jedem Spaziergang unser Begehren auszurichten versuchen. Durch „virales“ oder „Guerilla Marketing“ werden sie nun abermals gewendet und enteignet.

Das hat auch damit zu tun, dass die ReklamearbeiterInnen oft selbst biografisch mit Gegenkultur verbunden sind und dass die Werbebranche das unerschöpfliche Reserveheer derjenigen verwerten kann, die vom falschen Versprechen der künstlerischen Freiheit ins Elend der Kreativen gelockt wurden. Ihre Erfahrungen und Fertigkeiten mit „Urban Hacking“ – als täglicher Bestandteil digitaler Kulturpraxis – ist jenes Humankapital, das sie verkaufen können. Auch darin gründet die bereits besprochene Verwertbarkeit von Gegenkultur: in der kapitalistischen Beinaheunmöglichkeit, die eigene Arbeitskraft nicht an den Meistbietenden zu verkaufen.


Welcher Raum soll geöffnet werden: Regressive und emanzipatorische Raumvorstellungen

Die Verbindung von konkreten Interventionen und der übergreifenden „Open Source“-Idee ist ein wichtiger Schritt über den oft bewusst begrenzten Wirkungs- und Zuständigkeitsbereich der historischen Vorbilder aus den 1970er Jahren (Stadtguerilla etc.) hinaus.

Diese hatten sich häufig als legitime Artikulationsformen eines regional definierten Widerstands verstanden. Sie versuchten dabei, die Befreiungsbewegungen des Trikonts in den urbanen Räumen Westeuropas zu wiederholen (Tupamaros, „Stadtindianer“) oder vermeintlich authentische analoge Widerstandsprojekte im ländlichen Raum zu identifizieren (zum Beispiel die WinzerInnen-Initiative gegen das AKW Whyl am Rhein). Das dergestalt geschärfte Interesse für lokale und ortsspezifische Differenzmarkierungen (z.B. Dialekte als Gegenposition zur Hochsprache) verwandelte sich dann aber meist in identitäre Bezüge und authentizistische volkskulturelle Projektionen. Und die reichten bis zur unreflektierten Idealisierung völkisch-separatistischer Bewegungen: Der Schritt vom „Volk“ zum Volk war oft gar keiner, und der reaktionäre Begriff der „Verwurzelung“ blieb in der Linken der 1970er fast ausnahmslos positiv besetzt.

All das arbeitete versteckt der linksalternativen Institutionalisierung des Antiamerikanismus der Vietnamkriegsära zu. Amerikanismus wurde dabei in der Regel verstanden als eine globalisierte kulturindustrielle Angleichungsform, die Unterschiede und Eigenheiten im Lokalen einzog und durch standardisierte Muster ersetzte. Diese Muster wurden kurzerhand mit der „amerikanischen Kultur“ identifiziert.

Dass solche ideologischen Prämissen sich ausgesprochen häufig in einen fragwürdigen (bisweilen dezidiert neurechten) Heimatbegriff übersetzten, oder in die Idee eines Multinationalismus rein gedachter ethnischer Kollektivsubjekte, erklärt sich aus der Eigendynamik ihrer begrifflichen Setzungen. Dort, wo schließlich noch Theoriebildung als Korrekturinstanz verworfen wurde, entstand ein vakuumförmiger revolutionärer oder alternativer Pragmatismus: in der Idealisierung der „direkten Aktion“, der eigenen „Wut“ sowie anderer gefühliger Schrumpfformen des Politischen (wie sie Sponti-Parolen à la „Gefühl und Härte“ oder „Zärtlichkeit und Zorn“ wiedergeben). Über ihn etablierte sich – anstelle der alten Dialektik – ein neuer Jargon der linksalternativen Eigentlichkeit, der dann plötzlich begann, den Raum, um den gekämpft wurde, als „Heimat“ zu vermissen. Ihn also nicht mehr als Artikulationsort einzufordern, sondern als Ort der regressiven Unartikuliertheit von Identität bewahren zu wollen. So wurde die Natur hergestellt, die der Sozialökologismus dann beschützen durfte.

Dies war zugleich integraler Bestandteil der Verbürgerlichung der Alternativen zu den Grünalternativen: Aus dem sich verselbständigenden lokalen Bezug leitete sich zumeist die Verklärung fiktiver oder empirisch vorfindlicher Traditionen her. Im Zuge ihrer Niedergangsgeschichte fanden sich viele (ex-)linke AktivistInnen in Widerstandsprojekten wieder (vgl. aktuell z.B. die Berliner Initiative „Media Spree versenken!“), die vor der rücksichtslosen Modernisierungspraxis des Öffentlichen in ein phantasmatisches Früher flüchten. Aus dem gegenwärtigen Zustand urbaner Räume wurde dazu die historisch unhaltbare Annahme konstruiert, es müsse eine gewissermaßen präkapitalistische oder frühbürgerliche Stadt-Öffentlichkeit gegeben haben, die allen Subjekten und Anliegen im gleichen Maße zugänglich gewesen wäre. Irgendwo da hinten, in jenem „Früher“, in dem auch die Limonade, die Rockmusik und die zwischenmenschlichen Beziehungsformen irgendwie besser gewesen sein sollen.

Diese Vorstellung ist in der Debatte um die Veränderung städtischer Lebenswelten immer wieder anzutreffen, meist in Form jener bekannten kulturpessimistischen Rede vom Verlust des öffentlichen Raumes. Geflissentlich übersehen wird dabei, dass es einen solchen öffentlichen Raum – verstanden als herrschaftsfreies Gebilde – niemals gegeben hat, er wäre denn keiner gewesen. Als „öffentlicher“ war Raum immer schon in Herrschaftsbeziehungen verankert. Dies gilt selbst noch für die Agora der antiken SklavInnen-HalterInnen-Gesellschaften.

Schon immer fanden die Subjekte ihn als eine verteilte und durch besondere Besitz- und Permissionsbeziehungen vorselektierte Struktur vor, die sich über eine Reihe von Einschlüssen und Ausschlüssen konstituierte. Alle historischen Urbanitätskonzepte enthalten solche restringierenden Elemente, was den Gebrauch, die Bewegungsmuster und Bewegungsformen, den Zugang zur Stadt und ihren strukturellen Merkmalen für bestimmte soziale Gruppen oder Individuen (zum Beispiel „Frauen“, „Wohnsitzlose“, bestimmte ethnische Gruppen) betrifft.

Die Rettung der „guten alten Stadt“ vor einer vage begriffenen Kommerzialisierung ist reiner Wertkonservativismus. Mit dem sich verflüchtigenden „Alten“ will er immer nur die in ihm verbürgte Identität, eine dort erworbene kulturelle Kompetenz retten. Eine solche Kritik richtet sich nicht gegen die ökonomische Grundlage der bürgerlichen Gesellschaft – den Markt – sondern gegen eine bestimmte ästhetische BenutzerInnenoberfläche der jeweils historischen Form, die dieser Markt annimmt: Was als Mittelaltermarkt beschauliches Event und verlorene Innigkeit präbürgerlicher Sozialbeziehungen darstellen soll, wirkt als Supermarktkettenfiliale bedrohlich. Dass beide demselben Prinzip folgen, und das eine historisch ohne das andere nicht zu haben ist, wird dabei geflissentlich übersehen.

Es ist also nicht der Kapitalismus als gesellschaftliche Verkehrsform der Waren und ihrer ProduzentInnen, der am mit Reklame übersäten Stadtbild stört, sondern es scheint jene Penetranzform zu sein, über die er sich in Erinnerung bringt. Die wiederum ist aber – als notwendiger historischer Stand seiner Entfaltung – nicht von ihm zu trennen, außer eben in den Regressionswünschen gutbürgerlicher Heimatpflege.

Jede bürgerliche Stadt war – nach den Maßgaben ihrer Zeit – immer schon die Verdinglichung des jeweils aktuellen Entwicklungsstandes kapitalistischer Vergesellschaftung. Und die retrospektive Phantasmagorie freier Zugänglichkeit bleibt bestenfalls eine vage Idee utopischer bürgerlicher Theoriebildung, der keine Realität jemals entsprach oder entsprechen wird. Das ist das Kernproblem der bürgerlichen Utopien, die ihre Rechnungen ja prinzipiell ohne ihren Wirtskörper machen müssen und eine klassische Begriffsverwechslungskomödie, in der sich der linksliberale „Urbanismusdiskurs“ über die notwendige theoretische Analyse der veränderten Besitzverhältnisse von Öffentlichkeit hinweg kitscht, indem er das Verschwinden der traditionellen Stadt im Tonfall von Fremdenverkehrsbroschüren beseufzt.

Die Intervention des „Urban Hacking“ muss sich also in zweifacher Weise der regressiven Identitätsfalle verweigern, wenn sie einer emanzipatorischen Agenda folgen will.

Zum einen in der Perspektive, die sie sich zugrunde legt. Zwar soll und muss sie sich fallweise an örtlichen Gegebenheiten und Besonderheiten orientieren. Sie sollte aber ebenso jenes überlokale Bewusstsein entwickeln, das sich notwendig aus ihrer Verortung im Bereich der globalisierten digitalen Kultur ergibt. Das „World Wide Web“ ist der wichtigste Referenzort des „Urban Hacking“. Ja, die Globalität des Web wird als Korrelat der lokalen Lebenswelt erkannt, beide stehen in vielfältigen praktischen Abhängigkeitsbeziehungen.

Das Netz als universeller öffentlicher Raum, der in die lokalen und spezifischen Ausprägungen des Öffentlichen längst eingedrungen ist, macht einen Universalismus des Anspruchs nötig. Es entspricht der Universalität dessen, was bekämpft wird: Denn Werbestrategien sind vom Prinzip her immer gleich, ob sie sich im Straßenbild manifestieren, in kulturellen Darbietungsformen (Product Placement, Veranstaltungssponsoring, redaktionelle Werbung), im Emaileingangsfach oder als Pop-up. Die globale Belästigung durch optisches, akustisches und elektronisches Spamming schärft das Bewusstsein einer globalen Problematik, die „Urban Hacking“ als Bestandteil einer „globalisierungsgekoppelten Bewegung“ ausweist, der es eben nicht um den Heimatschutz des bedrohten Lokalen gehen darf, sondern ums Ganze, das eben auch lokal getroffen werden soll.

Zum anderen nimmt „Urban Hacking“ begrifflichen Bezug auf „Hacking“ als genuine Widerstandsform des digitalen Zeitalters, die mit dessen Globalisierung Schritt zu halten vermag. Hacking (im engeren Wortsinn eines rechnergestützten Angriffs auf das in Computern und Netzwerken unzugänglich gemacht Herrschaftswissen) bedeutet in diesem Zusammenhang: einen neuen öffentlichen Raum ins Werk zu setzen, der den digitalen Lebenswelten entspricht.

Paraflows 09 möchte diese Einsichten in der Art und Weise umsetzen, wie wir digitale Kultur – als (gegen-)öffentlichen Raum und als Interventionsmöglichkeit – präsentieren. Die hierfür gewählte Form ist die einer Containerinstallation am Karlsplatz, einem zentralen Platz der Wiener Innenstadt. Dem Karlsplatz ist widerständige interventionistische Kunst und Gegenkultur eingeschrieben über jene lange Tradition von Interventionsprojekten, die hier stattgefunden haben. An sie möchten wir anknüpfen und weiterformulieren. Der Karlsplatz als einer jener geschichtsgesättigten Orte, die zum Assoziationsfeld „Wien“ untrennbar dazugehören, soll einmal mehr herausgesprengt werden aus seinem lokalen (z.B. touristischen und identitären) Verwertungszusammenhang. Wir finden ihn bereits vernetzt vor und möchten diese Vernetzung stärken. Vernetzt ist er in jener Weise, in der die Einbindung in globale Bezugssysteme das Lokale, wie es in Österreich nicht erst seit Schwarz-Blau wieder im Schwange ist, aufzuheben vermag in einen Anspruch, der allgemein ist. Dies ist der genuine Anspruch der digitalen Kunst und Kultur. Wir möchten ihn am Karlsplatz erneut stellen.

Frank Apunkt Schneider / Günther Friesinger