Theaterperformance: AUFSICHT

Ein Stück von Thomas Ballhausen
Figurentheater Cakes in Lima
Raum D, quartier21, MQ, Museumsplatz 1, 1070 Wien, 13.09.2009, 20.30 Uhr


Kurzinformation

Der Autor, Film- und Literaturwissenschaftler Thomas Ballhausen verfasste ein kurzes Stück zum Thema der Kontrolle, das auf der diesjährigen PARAFLOWS seine Erstaufführung erlebt. Wie auch schon in früheren Auftragsarbeiten, etwa für das Wiener Schauspielhaus oder anlässlich des Beckett-Geburtstags, orientierte sich Ballhausen in seinem Text, der um Kontrollverlust und Versagen kreist, an einem vorhandenen Stück. Seine Wahl fiel auf das wenig bekannte Shakespeare-Drama Trolius und Cressida, das in seiner Schärfe und politischen Weitsicht von ungebrochener Aktualität und Brisanz ist.

Ballhausen, der für seine literarischen Arbeiten schon mehrach ausgezeichnet wurde, siedelt sein Sprechstück über die Verzweiflung innerhalb zwischenmenschlicher Beziehungen an der Grenze zwischen Romantik und Pathos an. Die schrittweise Demontage der beiden Hauptfiguren ist von Zitaten und Verweisen durchzogen, das Lesevergnügen ist damit aber keineswegs vermindert. Vielmehr bleibt sein Text Aufsicht nicht zuletzt deshalb auch als Liebeserklärung an die Literatur und als Bekenntnis zur Liebe an sich begreifbar.

Vorbemerkung zum Text

I.

Die thematische Vorgabe der Kontrolle hat mich zum eigentlichen Thema des Kontrollverlusts gebracht. Was passiert mit den kleinen, privaten Situationen im Rahmen der großen, übergeordneten Szenerien? Wenn beide Systeme aus der Bahn geraten, wenn das vielgerühmte Gleichgewicht verloren geht? Wenn uns die Balance ebenso fehlt wie der feste, mehrfach lesbare Grund des Vertrauens? William Shakespeares Drama um den unreifen, romantisch überzogenen und durch Zurückweisungen zutiefst zornigen Troilus und die berechnende, kühle, begehrende und doch auch angsterfüllte Cressida scheint mir hier die perfekte Folie zu sein: Jeder Ritter ist ein Halunke, jede Prinzessin eine Dirne, einzig Unzucht, Krieg und Verrat bleiben immer in Mode, In der Umkehrung der dänischen Verhältnisse aus dem Hamlet, der in der Werkchronologie des großen Unbekannten vor seiner Verarbeitung des Troja-Stoffes anzusiedeln ist, liegt auch ein politischer Schachzug. Wird Cressida, nach nur einer erfüllten Liebesnacht zwischen den beiden titelspendenden Hauptfiguren, schließlich wie ein Pfand gegen einen gefangenen Soldaten, den schweigsamen General Antenor, eingetauscht, nimmt das Drama zwischen den beiden ungleichen Liebenden seinen Weg in Richtung der schlimmstmöglichen Wendung.

II.
Dieser Krieg zwischen Griechen und Trojanern, trotz seiner Dauer von Stillstand geprägt, ist von Kämpfen, von Verlusten und den heimlichen Vergnügungen der Nacht durchzogen. Ein unüberschaubares, zyklisches Spiel aus Blut und Eisen zieht Troilus und Cressida in seinen Bann, es regnet schon bei Shakespeare Spottverse, Stahl und Scheiße. Aber – nichts ändert sich, auch nicht zwischen den potentiell Liebenden, Mißverständnis und Verrat sind praktisch vorprogrammiert. Cressida ist ganz Sprache, will weniger blond sein als die entführte Helena, will auch weniger verführbar sein als diese und ist es aber doch. Verschwendetes Vertrauen, entwertete Schwüre und Seufzer lassen jede Hoffnung ertrinken, machen den Krieg der Heroen ringsum zum Schaukampf, zur fast schon uninteressanten Nebenhandlung, während Cressida sich dem Griechen Diomed hingibt und Troilus als Beobachter daran teilhat. Schließlich bleibt im ursprünglichen Stück aber alles Erwünschte uneingelöst, die Rache bleibt ungestillt, alle schlafen wieder alleine, es geht nicht auf zwischen den Feinden, den Liebenden. Der Mensch ist nicht mehr er selbst, er verrät sich immer und immer wieder.

III.
In Gefühlsdingen sollen die Figuren hier nun ganz autistisch sein. Sie monologisieren, die Sprache lassen sie durch sich hindurchrauschen, als gingen sie sich selbst nichts an. Kriegserklärungen und Liebesbeweise liegen so dicht nebeneinander, sie werden nahezu ununterscheidbar. Momente des Kippens sind an der Tagesordnung. Ein vertauschtes Vorzeichen nur entscheidet, eine kleine Abweichung und wir umarmen uns oder wir rammen uns die Klingen zwischen die Rippen. Sieht man genauer hin, sind alle Figuren doch recht erzürnt vom eigenen Dasein, von der eigenen Existenz, die sich mitunter zur Zumutung auswächst. Wie also das Wissen um die Dinge, die Unaufschiebbarkeit des Sterbens unter Kontrolle halten, wie die Gewissheiten über einander zähmen in all dem Drama und Dekor? Fleisch und Fleisch gesellt sich eben gerne. Menschliche Werte stehen in scharfem Kontrast zu menschlichen Fehlern, ein Missverhältnis, das unweigerlich auch zu Wiederholungen führt, zu ergebnislosen Reden in Schleifen, zu zyklischen Verschlimmerungen. Die Figuren in diesem Liebes-Spiel, denn das ist es zweifellos, verfehlen sich mit beunruhigender Regelmäßigkeit. Was man sich also antut, weil man sich ja eigentlich gut leiden kann. Und mehr noch.

IV.
Im Hintergrund stehen die Ruinen von Europa, wenn dieser Remix einer elisabethanischen Vorgabe abläuft. Im Moment des Tricks, des Einschleichens der ästhetischen und kriegerischen Schmuggelwaren, soll man Verzweiflung und Asche schmecken können. Troilus und Cressida spielen ihre fragwürdige, von Fragen durchzogene Partie mit dem Wunsch, zu gewinnen. Eitelkeit und das Bewusstsein eine unverheilte, wunde Vergangenheit mit sich herumzuschleppen, dominieren das Klima. Eine romantisch geprägte Feindseligkeit liegt über allem, die Atmosphäre latenter Gewalt. Ein Kippen ins Körperliche ist nicht ausgeschlossen. Die immer präsenten Einflüsterer wollen den Verlauf der Partie mitbestimmen, sie sind aber auch mögliche Illustratoren des Gesagten, stumme Stellvertreter eines wortreichen Konflikts. Sie sind Ratgeber und Aufsichtspersonen zugleich. Beleidigung und Leid liegen nicht zuletzt deshalb näher beieinander als es den Figuren jemals vergönnt war. Sie lassen Phrasen und Wahrheiten aufeinander los ohne gefällige Abfolge, sie fallen einander ins Wort, sind ungeduldig im Austesten ihrer Waffen und der eigenen Belastbarkeit. Trotz ihrer Unmöglichkeiten, ihrer eingenommenen Haltungen kommt es stellenweise zu einem Dialog des Streitens, dem Ansatz eines Gesprächs über das Potentielle. Denn dies ist eine Welt, die unsere Bestimmung, unsere Unschuld und Schönheit peinlich befragt, uns prüft und unablässig auf die Probe stellt, uns mit Fragen konfrontiert. Etwa: Schließen sich Intuition und Intellekt aus? Haben wir Platz für Gefühle, für eine Romanze, für ein wenig mehr Selbstaufgabe, als uns eigentlich gut tut? Ein wenig mehr, als wir je geplant hatten zu geben? Die Antworten erweisen sich zumeist als ernüchternder als erwünscht. Und trotzdem. Es bleibt gelegentlich ein Hoffen, das über das Sehnen hinausgeht. Das macht nichts besser, nein, denn in diesem Hoffen steckt eine den erlittenen Verlust bestätigende Gewissheit. Das soll den Sprechern anzumerken sein, das soll bei aller Lust an der Zerstörung nicht vergessen werden.